Rente außer Kontrolle

Wie große gesellschaftliche Aufgaben Konflikte schüren

Autor: Leon L. Bensch

zuletzt aktualisiert am 30. Juli 2023

Symbolbild: Kampf gegen niedrige Renten (adobe.stock.com: Alessandro Biascioli)

Fridays for Future demonstriert gegen die Klimapolitik der Regierung. Klimakleber provozieren mit radikalen Protestaktionen. Gemeinsam beschwören sie den Untergang der Zivilisation. Doch vor dem Ende der Menschheit gerät etwas anderes außer Kontrolle: die Rente. Und mit ihr der soziale Frieden.

Die ganze Aufmerksamkeit der Medien ist aufs Klima, die Inflation und drohende Rezession der Wirtschaft, sowie den Ukraine-Konflikt gerichtet. Dabei schwelt in Deutschland ein weitaus näherer Konflikt, dessen Auswirkungen niemand ernsthaft diskutiert. Es geht um die Rente und ihre zukünftige Finanzierung.


Wo bleibt der Protest? Wo sind die Experten bei Maybrit Illner, Markus Lanz und Maischberger, die über Lösungen diskutieren für ein Problem das dringend ist? Bevor die Kosten für die Rettung des Klimas drohen die finanziellen Verhältnisse der Menschen überproportional zu belasten, werden viele zusehen müssen, wie sie ihren Lebensstandard bei Renteneintritt überhaupt halten können. Während der Renteneintritt für Millionen von Menschen zur hautnahen Realität wird, ist der Zeitpunkt des Klimakollapses und mit ihm die Verwandlung der Erde einen von Diktaturen beherrschten Todesplaneten eine fiktive Medienerzählung.

Welche Möglichkeiten gibt es, das derzeitige Rentenniveau zu halten?

Das Problem ist so simpel wie einfach: immer mehr Rentner belasten die Rentenkassen. Wenn gleichzeitig immer weniger Erwerbstätige auf den Arbeitsmarkt eintreten, sinken sowohl die Einzahler in die Rentenkassen, während sich gleichzeitig die Produktivität der Wirtschaft abschwächt, weil zu wenige Fachkräfte verfügbar sind. Infolgedessen sinken die Steuereinnahmen des Staates. Dennoch muss der Staat mehr Geld für Renten aus einer schrumpfenden Rentenkasse ausgeben.

 

Noch gilt die „doppelte Haltelinie“. Sie legt fest, dass das Rentenniveau bis 2025 nicht unter 48 Prozent sinken und der Rentenbeitrag nicht über 20 Prozent vom Brutto steigen darf. Wie kann es rein mathematisch funktionieren, dass auf der einen Seite der Gleichung das Geld weniger wird, während auf der anderen Seite das Ergebnis gleichbleibt? Es ist schlichtweg unmöglich.

 

Die Frage lautet nicht: wer bezahlt die jetzige Rente? Sondern wer bezahlt die Rente der jetzt arbeitenden Bevölkerung in 5, 10 oder 20 Jahren? Um die Renten auf dem aktuellen Stand zu halten, müssten alle Erwerbstätigen, die jetzt oder in ein paar Jahren in Rente gehen (A) länger bis zum Eintritt in die reguläre Rente arbeiten, (B) höhere gesetzliche Rentenbeiträge bezahlen, und (C) die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt müssten erhöht werden.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache

Im Durchschnitt steigt die Lebenserwartung der Menschen jedes Jahr um etwa 2 Monate. Das bedeutet, die Rentenbezugszeiträume werden länger. Der voraussichtliche Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zur Rente wird in diesem Jahr mehr als 84 Milliarden Euro betragen. Zusammen mit den Beiträgen für Kindererziehungszeiten und die knappschaftliche Rentenversicherung beläuft sich die Summe auf 112 Milliarden Euro. Das entspricht etwa einem Drittel aller Steuereinnahmen des Bundes.

 

Die Babyboomer gehen ab 2025 in Rente. Ab dann kommen auf einen Rentner 1,5 erwerbstätige Personen. Eine Rentenkürzung ist auf Basis dieser Zahlen unvermeidbar, falls das Rentensystem nicht umfassend reformiert wird.

 

Experten weisen schon seit Jahren darauf hin und der Bundesrechnungshof warnt nicht erst seit gestern. Denn: bleibt das Rentenniveau dauerhaft bei 48 Prozent, droht für die Jahre 2026 bis 2036 eine Finanzierungslücke von 235 Milliarden Euro. Das entspricht etwa dem doppelten Betrag, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2023 ausgibt (166 Mrd. Euro). Nur eine massive Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge kann die Lücke schließen. Aufgrund von immer weiter steigenden Abgaben für CO2-intensive Waren und Dienstleistungen, hohen Energiekosten, sowie zusätzliche Ausgaben für Klimaschutzmaßnahmen, drohen soziale Verwerfungen.

 

Während Beamte auch 134 Jahre nach Bismarcks Einführung der Deutschen Rentenversicherung noch immer nicht in die Sozialversicherungssysteme einzahlen müssen und eine üppige Pension in Höhe von durchschnittlich 3227 Euro pro Monat aus den Steuereinnahmen aller Bundesbürger erhalten, sehen sich immer mehr Rentner mit Altersarmut konfrontiert.

Glückliche Rentner und Klimaschutz

Warum gibt es keinen Aufschrei im Land? Keine Proteste? Sind die deutschen Rentner zufrieden? Oder fühlen sie sich zu alt, um für ihre Lebensleistung auf die Straße zu gehen und eine gerechte Rente einzufordern? Findet die Gesellschaft die Meinung der alten Leute nicht mehr so wichtig?

 

Genau deshalb, weil die Rente für viele direkt vor der Tür steht und der Untergang der Zivilisation eben nicht, müssen die Menschen auf dem Weg zur Rettung des Klimas politisch, gesellschaftlich und finanziell mitgenommen werden. Es darf nicht sein, dass Klimawutproteste und Drohungen persönliche Existenzängste der Menschen weiter anheizen.

 

Ich bin mir sicher, dass Rentner mit hohem Vermögen und fairen Renten Klimamaßnahmen weitaus offener gegenüberstehen würden, vor allem in Regionen, wo populistische Parteien die Deutungshoheit über Klima, Krise und Einwanderung übernehmen.

Kleine Lichtblicke

Für alle Erwerbstätigen, ob festangestellt oder selbständig, gilt heute umso mehr: die private Altersvorsorge muss eine wichtigere Rolle spielen, denn auf die staatliche Rente ist kein Verlass mehr. Doch dafür ist Aufklärungsarbeit nötig.

 

Das Finanzministerium unter Christian Lindner plant die private Altersvorsorge grundlegend zu reformieren. Seit Jahresbeginn hat eine Expertengruppe die Situation analysiert und Empfehlungen ausgesprochen. Es heißt, dass junge Menschen und ärmere Bevölkerungsschichten zusätzliche Zulagen nutzen sollten. Außerdem sollen Bürokratie abgebaut und Produktanforderungen vereinfacht werden. Die Kosten privater Altersvorsorgeprodukte sollen sinken und transparenter gestaltet sein. Neben einem Versicherungsmodell wie die Riester-Rente wäre auch ein Altersvorsorgedepot denkbar, bei dem das Geld in börsengehandelten Indexfonds (ETFs) angelegt wird.

 

Es stellt sich die Frage, warum Riester erst jetzt nach 20 Jahren auf den Prüfstand kommt? Dass die Riester-Vorsorge mit seinen hohen Kosten und niedrigen Renditen gescheitert ist, weiß selbst die Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) seit Jahren. Eine reine Aktienstrategie bringe im Mittelwert eine rund dreimal so hohe Rente wie eine risikolose Anlage in Anleihen. Länder wie Schweden oder Großbritannien haben längst gezeigt, dass sogenannte Vorsorgefonds für Sparer:innen funktioniere und das Geld nicht primär in den Taschen der Finanzwirtschafte lande.

 

Eine übergreifende Rentenreform der Bundesregierung ist dringend und ein Gesetz würde es frühestens im kommenden Jahr geben. Die Zeit läuft vielen Menschen einfach davon.

Autor: Leon L. Bensch für aktien-buddy.de erstmals veröffentlicht am 30. Juli 2023

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