Erst die Arbeit, dann der Tod

Das deutsche Rentenproblem

Autor: Leon L. Bensch

zuletzt aktualisiert am 11. Dezember 2022

Symbolbild: Immer mehr Menschen gehen in Rente und immer weniger Arbeitskräfte stehen für den Arbeitsmarkt zur Verfügung. (adobe.stock.com: friends stock)

Immer mehr Menschen der Babyboomer-Generation scheiden bereits mit 63 oder 64 Jahren aus dem Arbeitsmarkt aus. Nach Berechnungen des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung sind das mehr, die deutlich vor der Regelaltersgrenze in Rente gehen, als noch vor ein paar Jahren. Gleichzeitig leidet die deutsche Wirtschaft unter einem Mangel an Arbeitskräften. Eine einfache Lösung ist nicht in Sicht.

Das Problem ist so simpel wie einfach: mehr Rentner belasten die Rentenkassen und weniger Arbeitstätige belasten die Wirtschaft. Der Staat muss mehr Geld für Rentner ausgeben. Gleichzeitig zahlen weniger Beschäftigte in die Sozialkassen ein.


Das Loch im Haushalt der Deutschen Rentenversicherung wird von zwei Seiten aufgerissen. Die Frage lautet nicht: wer bezahlt die jetzige Rente? Sondern wer bezahlt die Rente der jetzt arbeitenden Bevölkerung in 20 Jahren?

Wir wissen es seit 20 Jahren

Alterspyramide Deutschland, Quelle: Statistisches Bundesamt

Dass es eines Tages so kommen wird, wussten Sozialwissenschaftler bereits vor 20 Jahren, denn das Altern der Bevölkerungskohorten lässt sich mathematisch exakt berechnen. Die starken Geburtsjahrgänge 1960 bis 1970 gehen ab sofort in Rente und belasten die Rentenkassen überproportional im Vergleich zu den neu in den Arbeitsmarkt eintretenden um die Jahrtausendwende Geborenen.

 

Kanzler Olaf Scholz will erreichen, dass weniger Menschen vor Erreichen der Regelaltersgrenze in Rente gehen. „Es gilt, den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können. Das fällt vielen heute schwer“, sagte Scholz den Zeitungen der Funke Mediengruppe. So wie Scholz haben viele in der Regierung nicht verstanden, wie es um die realen Einkommen der arbeitenden Mittelschicht, die für den Rententopf kräftig zur Kasse gebeten wird, steht.


Ganz zu schweigen, von deren Vorstellungen über ein Leben, das Berufliches und Privates miteinander in Einklang bringt, nicht seit gestern erst unter dem Begriff Work-Life-Balance bekannt. Erstens ist kein Geld mehr zum Herausquetschen da, und Zweitens ist das Leben viel zu wertvoll, um es mit voller Kraft gesundheitlich gegen die Wand zu fahren.

 

Gleichzeitig fordern Ökonomen und Arbeitgebervertreter zur Stabilisierung des Rentensystem und zur Wohlstandwahrung eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre. Klingt eher wie eine Drohung als eine konstruktive Lösung.

Eine Frage der Gerechtigkeit

Ich persönlich halte es für gerecht und fair, wenn jemand mit 63 oder 64 in Rente geht, weil der Mann oder die Frau das Leben, was noch bleibt, aktiv erleben möchte. Wenn es der Gesundheitszustand zulässt, haben diese Menschen noch viele schöne Jahre vor sich und können sich endlich Zeit für etwas nehmen, was sie in ihrem Berufsleben stets aufgeschoben haben. Ich könnte an dieser Stelle ein paar Duzend Beispiele aufzählen, die im stressigen Arbeitsalltag liegen bleiben und später reumütig bedauert werden, sie nicht getan zu haben. Einige der heutigen Rentner haben unbezahlte Überstunden geleistet, andere standen in Tag- und Nachtschichten am Fließband, viele litten unter Zeitdruck und Überforderung, manche mussten jahrelang fiese Chef ertragen, und sicherlich gibt es viele, die durchaus ein gutes und zufriedenes Arbeitsleben hatten.

Foto: adobe.stock.com


Doch irgendwann kommt wie bei jedem Film der Schluss. Wer sind wir, dass wir jemandem vorschreiben, nach einem Leben harter Schufterei und Entbehrungen durch den Job, wann Rentenzeit ist?

 

Arbeitgeber hatten ebenso wie die Regierungen in den letzten Jahren mehr als genug Zeit, Arbeitsplätze ganz spezifisch auf ältere Menschen auszurichten, was sie offenbar nicht getan haben. Die jungen Wilden, die noch nie gearbeitet haben, werden gelockt mit Home Office, 4-Tage-Woche, kostenlosem ÖPNV-Ticket, In-House-Fitnessstudios, Obst, Kaffee und Biodrinks, Kantine mit eigenem Chef de Cuisine, Sabbaticals, Incentives, Bonuszahlungen, und so weiter.

Wer kann, der geht

Und so gilt es die Frage zu stellen, warum Menschen mit 63 genug haben von ihrer Arbeit? Die Antwort ist wieder sehr simpel: die Arbeit macht sie offenbar nicht mehr glücklich. Wer kann, der geht. Der Reiz des Geldverdienens ist Dank ungerechter Steuerpolitik verloren gegangen. Bei der Wertschätzung durch Arbeit sind die Jungen im Vorteil. Die Alten werden trotz Forderung einer Rente mit 70 alt sein und im Vorstellungsgespräch bestimmt nicht dankend empfangen. Würde ich mir aktuelle Stellenanzeigen anschauen, müsste ich garantiert feststellen, dass darin keine 60-jährigen gesucht werden.

 

Und so könnte ich eine Plattitüde an die andere reihen: das Leben besteht nicht nur aus Arbeit. Arbeit ist das halbe Leben. Arbeit allein macht nicht glücklich. Der Fleißige ist der Dumme. Wer in Deutschland reich werden will, schafft es nicht mit Erwerbsarbeit, sondern muss erben. Wer ein Haus kaufen möchte, muss mit 60 Jahren auch nicht mehr anfangen dafür zu sparen. Erst die Arbeit, dann der Tod.

 

Das Risiko an einem Herzinfarkt durch Stress zu sterben steigt gerade bei Männern mit jedem Erwerbsjahr stetig an. Bei Frauen steigt das Burn-out-Risiko auf ein Rekordhoch im Alter zwischen 60 und 64. Psychische Belastungen und damit einhergehend erhöhter Blutdruck werden durch die verfehlte Fachkräftestrategie Deutschlands auch in naher Zukunft nicht gemindert werden. Traumarbeitsbedingungen für ältere Menschen sind nicht in Sicht.

Meine Prognose

Was machen Menschen mit all diesem Wissen? Sie steigen aus, bevor es zu spät ist. Und was machen diejenigen, die noch voll im Erwerbsleben stecken? Sie hoffen darauf, dass sie nicht bis 70 arbeiten müssen und wenn doch, dass die Regierung ihnen die Rente nicht kürzt, und wenn doch, werden sie so viel Geld beiseite legen wie möglich, anstatt es in den Konsum zu stecken, der eigentlich wichtig wäre, um unsere vernachlässigte Binnenwirtschaft zu stärken. Das Geld wird auf Giro- und Tagesgeldkonten gespart und diejenigen, die sich ein Vermögen abseits von Rentenkasse und Riester-Rente aufbauen möchten, investieren in internationale Aktien und Fonds. Mit einem finanziellen Polster ist der frühere Renteneintritt sicherer als die staatliche Rente.

 

Sollte das jetzige Rentensystem auch in Zukunft Bestand haben, ein Renteneintrittsalter mit 70 Jahren und damit einhergehende drastische Rentenkürzungen gesetzlich festgeschrieben werden, und die Einwanderungspolitik weiterhin Fachkräften keine Perspektiven im deutschen Arbeitsmarkt eröffnen, wird das der Deutschen Wirtschaft schwere Schäden zufügen.

Autor: Leon L. Bensch für aktien-buddy.de erstmals veröffentlicht am 11. Dezember 2022

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